Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren

gelassene Konzentration zur (Re-)Balancierung, Selbsterkenntnis, Persönlichkeitsentwicklung und Seinserfahrung

Was sind Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren?

Alle Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren haben drei gemeinsame Grundelemente:

  1. Sie schulen eine gelassene, nicht wertende Form der Konzentration, die es ermöglicht, von körperlichen, geistigen und seelischen Spannungen loszulassen und sich auf sich selbst zu besinnen (Zentrierung, Kontemplation).

  2. Sie benutzen spezifische Rituale, innerhalb derer sich die Übenden auf bestimmte Wahrnehmungszonen besinnen. Die dort ablaufenden (Entspannungs-)Prozesse werden aufmerksam aber gelassen beobachtet und dadurch verstärkt. Beim Autogenen Training sind das z.B. Schwere (Muskelentspannung) oder Wärme (Gefäßentspannung), beim bestimmten Meditationsformen z.B. das Kommen und Gehen des Atems, bestimmte Bilder (Mandalas) oder Sprechgesänge (Mantren bzw. Chants, d.h. heilige Silbenfolgen wie z.B. Om) und beim Yoga oder der Progressiven Relaxation das Anspannen und Loslassen spezifischer Muskelgruppen.

  3. Alle Verfahren enden mit Übungsschritten, die Körper, Geist und Seele wieder aktivieren, um auf Alltagsanforderungen adäquat reagieren zu können.

Klassische Entspannungsverfahren wie Autogenes Training oder Progressive Relaxation legen das Schwergewicht mehr in Richtung der Wahrnehmung von psychophysischer Entspannung. Achtsamkeitsbasierte Verfahren wie Meditation legen den Schwerpunkt mehr auf ein nicht wertendes, gelassenes aber äußerst waches Gewahrsein körperlicher, geistiger und emotionaler Vorgänge ("geistiges Equilibrium"). Darüber hinaus gibt es noch Verfahren z.B. wie Hypnose, Focusing, Mentales Training oder psychologische (Stressbewältigungs-)Programme auf der „westlichen“ und Yoga oder Taijiquan auf der „östlichen Seite“, die ebenfalls eine Bewusstheit der menschlichen Entspannungsreaktion lehren, die in ihren Anwendungsbereichen aber über „reine“ Entspannung z.T. weit hinaus gehen.

Anwendungsgebiete & Wirkungsweise

Weil menschliches Leben grundsätzlich u.a. zwischen den Polen „Spannung“ und „Entspannung“ abläuft und weil im Alltag häufig die Spannungsseite übermäßig betont wird, helfen regelmäßig praktizierte Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren einerseits zu einer gesunden Balance (zurück) zu finden (Psychohygiene), die Gesundheit zu stärken (Salutogenese) und die Regeneration sowie die „Widerstandsfähigkeit“ gegen Stress auszubauen (Stressresilienz). Andererseits sind sie nachgewiesenermaßen bei auf Stress basierenden „nervösen“ Beschwerden gut wirksam (z.B. Erschöpfungszustände, Schlafprobleme, leichte Ängste oder andere Missstimmungen, leichte psychosomatische Beschwerden wie Verspannungen, Magen-Darm- oder Kreislauf-Probleme). Ebenso sind Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren bei einem großen Spektrum von Störungsbildern sowie bei vielen chronischen Erkrankungen als Therapie begleitende Maßnahmen überaus sinnvoll und effektiv. Darüber hinaus gibt es viele ernstzunehmende Hinweise darauf, dass Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren wichtige Beiträge zur individuellen Potential- sowie Persönlichkeitsentwicklung liefern und damit wichtige Beiträge für ein gelingendes Leben sind.

Gemeinsames Kernelement der Entspannungs- und achtsamkeitsbasierten Verfahren ist die sog. tophotropische Reaktion (relaxe response), bei der der Hirnstoffwechsel, das Nervenssystem und der Gesamtorganismus in Richtung leib-seelischer Entspannung „umschalten“. Die körperliche Entspannungsreaktion ist das Gegenstück zur menschlichen Stressreaktion und läuft natürlicher Weise z.B. im Schlaf ab; auch die psychische Reaktion (Trancephänomene) ist nichts künstliches. Deshalb ist die Fähigkeit zur ganzheitlichen Entspannung auch keine besondere, sondern ein normaler Teil des menschlichen Potentials, das durch Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren gewissermaßen freigelegt und gefördert wird. Bei denjenigen, die solche Übungen regelmäßig praktizieren, finden nach und nach körperliche, seelische, emotionale und neuronale Veränderungen statt, die allgemein helfen, auf Stresssituationen weniger „anzuspringen“ und insgesamt gelassener zu reagieren.

Wie läuft typischer Weise ein Kurs/der Unterricht ab?

Weil Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren z.T. auf sehr speziellen Ritualen basieren, gibt es auch unterschiedliche Unterrichtsformen. Autogenes Training, Progressive Relaxation oder Multimodale Stresskompetenz werden meist an 8-12 (Einzel- oder Gruppen-)Terminen vermittelt. Kurse in Achtsamkeitsarbeit und Yoga-, Taijquan- oder Meditationskurse können u.U. über einen wesentlich längeren Zeitraum stattfinden. Mentales Training, Focusing oder Hypnose sind oftmals Teil von Beratung/Coaching oder Psychotherapie. Viele Verfahren werden im Sitzen, manchmal auch im Liegen praktiziert, andere aber auch im Stehen oder im Gehen.

Gemeinsame Elemente sind immer eine achtsame, „passivisierte“ Konzentration und eine nicht auf Leistung, Ehrgeiz oder Anstrengung ausgerichtete Orientierung. Es geht ums (entspannt und achtsam) Sein und nicht darum, Entspannung oder Achtsamkeit zu machen; anders ausgedrückt: Immer mehr (los-)lassen – immer weniger tun.

Darüber hinaus haben die Achtung und Förderung der persönlichen Eigenständigkeit (Autonomie) bei Entspannungs- und achtsamkeitsbasierten Verfahren eine zentrale Stellung, d.h. sie stellen immer eine Form von „Hilfe zur Selbsthilfe“ dar; mündet das Praktizieren in Bevormundung oder Abhängigkeiten von AnleiterInnen, liegt i.d.R. eine nicht sachgerechte Form der Vermittlung vor.

Für wen sind Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren geeignet, für wen nicht?

Diese Verfahren eigenen sich für alle Menschen, die bereit sind, sich auf den Prozess von Entspannung und Achtsamkeit innerlich einzulassen, und die bereit sind, die jeweiligen Verfahren regelmäßig zu praktizieren. Weniger geeignet sind sie für Menschen, die überstarke Kontrollbedürfnisse haben oder die mit der Anwendung unrealistische Wünsche verbinden (z.B. Immunität gegen schwere Krankheiten, persönliche Erhabenheit). Sehr problematisch ist die Anwendung,...

  • wenn dadurch andere fachlich notwendige Behandlungen „verschleppt“ oder gar verhindert werden
  • wenn Auffassungsgabe und/oder Intelligenz beeinträchtigt sind (z.B. bestimmte geistige Behinderungen oder fortgeschrittene Demenz)
  • bei Krankheiten, die sich durch Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren evtl. verschlimmern könnten (z.B. einige Psychosen)
  • wenn andere, verfahrensspezifische Kontraindikationen bestehen

Deshalb ist immer eine genaue Abwägung zwischen Nutzen und möglichem Gewinn gegenüber Risiken und evtl. Nebenwirkungen notwendig; darum braucht es eine besondere Kompetenz und sorgfältige Ausbildung seitens der TrainerInnen, LehrerInnen bzw. VermittlerInnen.

Häufige Fragen zu Entspannungs- und achtsamkeitsbasierten Verfahren und ihre Antworten:

Muss ich besondere Talente haben, um diese Verfahren zu praktizieren, und erlange ich dadurch besondere Fähigkeiten? Nein. Weil Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren auf natürlichen, menschlichen Fähigkeiten basieren, benötigen Sie weder besondere Talente, noch werden Sie irgend eine Form von irgendwelchen übersinnlichen „Zauberkräften“ erlangen. Alles, was es braucht, ist die Bereitschaft sich einzulassen, eine gewisse Disziplin, regelmäßig zu praktizieren, und etwas Geduld, die Effekte wirken zu lassen. Aber kein Entspannungs- und kein achtsamkeitsbasiertes Verfahren macht aus Ihnen einen gänzlich anderen Menschen oder immunisiert Sie gegen schwierige Lebensphasen, sondern sie unterstützen Sie dabei, Ihr individuelles Potential und Ihre Persönlichkeit voll zu entwickeln und Krisen heil(er) zu durchleben.

Brauche ich eine/n besonders qualifizierte/n Anleiter/in? Ja. Auch wenn sich die ersten „Gehversuche“ in eigener Regie oder unterstützt durch CDs bzw. Videos durchführen lassen, so ist für das fachgerechte Erlernen ein individueller „Reiseführer“ oder eine „-führerin“ sinnvoll. Er oder sie sollte über fundierter Selbsterfahrung in dem jeweiligen Verfahren verfügen und darüber hinaus persönlich in einer Weise gereift und reflektiert sein, dass er oder die sie der Versuchung widerstehen kann, anderen Menschen die eigenen Erfahrungen, Erkenntnisse oder Ansichten überzustülpen. Weiterhin sind sehr gute Kenntnis der entsprechenden psychologischen, physiologischen und philosophischen sowie ggf. spirituellen Hintergründe notwendig. Ebenso braucht es fundierte (psycho-)diagnostische und gruppendynamische Erfahrungen sowie - je nach Verfahren - medizinische bzw. körpertherapeutische Kenntnisse. Diese Qualifikationen braucht es, um evtl. problematische Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und sicher sowie fachgerecht handhaben zu können.

Zur Geschichte der Verfahren:

Die verschiedenen Verfahren haben eine sehr unterschiedliche Geschichte. Es gibt über 5.000 Jahre alte Texte zum Yoga, die von Übungen zur Entspannung und zur Reinigung von Körper und Seele handeln. Innerhalb der fünf großen Weltreligionen gibt es verschiedenste Quellen, die von meditativen Erkenntniswegen handeln. Auch griechische, römische und arabische Ärzte des Altertums betonten schon die Wichtigkeit von Achtsamkeit und Entspannung, z.B. um Körper und Seele im Gleichgewicht zu halten. Insofern sind Entspannungs- und achtsamkeitsbasierte Verfahren ein Teil des „Weltkulturerbes“, auf dem auch „moderne“ Verfahren basieren. D.h. auch wenn die Anfänge z.B. der Progressiven Relaxation und des Autogenes Training (welches wiederum aus der Hypnose entwickelt wurde) auf das erste Drittel des 20. Jahrhunderts zu datieren sind oder wenn achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) erst Anfang der 1980er Jahre entwickelt wurden, so greifen sie doch alle implizit oder explizit auf wesentlich ältere Traditionen und (Menschheits-)Erfahrungen zurück.

Literatur für AnwenderInnen:

  • Brenner, H. (2004): Autogenes Training. Der Weg zur inneren Ruhe. Lengerich: Pabst Sc. Publ.
  • Brenner, H. (2010): Meditation. Die wichtigsten Ziele, Methoden und Übungen. Lengerich: Pabst Sc. Publ.
  • Derra, C. (2009): Achtsamkeit. Die Rosinenmethode. Hörbuch Gesundheit. Stuttgart: TRIAS Verlag
  • Kabat-Zinn, J. (2009): Gesund durch Meditation. Das große Buch der Selbstheilung. Frankfurt/M.: Fischer
  • Ohm, D. (2007): Progressive Relaxation. Hörbuch Gesundheit. Stuttgart: TRIAS Verlag

Literatur für VermittlerInnen, TrainerInnen und DozentInnen/AusbilderInnen:

  • Husmann, B. (2009): Besser als nur rumsitzen und nichts tun? Über Achtsamkeitsarbeit, Autogenes Training und Salutogenese. In: Entspannungsverfahren Nr. 26, Lengerich: Pabst Sc. Publ., 36-91
  • Husmann, B. (2010): Erheblich mehr, als 'nur' die Seele baumeln zu lassen – systematische Entspannungsverfahren im Überblick. In: DPtV (Hg): Psychotherapie Aktuell, 2010 (1), 16-20
  • Petermann, F.; Vaitl, D. (Hg. 2009): Entspannungsverfahren. Das Praxishandbuch. Weinheim, Basel: Beltz PUV
  • Weiss, H.; Harrer, M. E. (2010): Achtsamkeit in der Psychotherapie. Verändern durch „Nicht-Verändern-Wollen“ – ein Paradigmenwechsel?. In: Psychotherapeutenjournal (Bundes- und Landespsychotherapeutenkammern Hg.) 2010 (1), 14-24 (sowie die nachfolgende Diskussion; vgl. Psychotherapeutenjournal 2010 (3), 276-282)

Literatur zur wiss. nachgewiesenen Wirksamkeit:

  • Bohus, M.; Huppertz, M. (2006): Wirkmechanismen achtsamkeitsbasierter Psychotherapie. In: Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 54 (4), 265-276
  • Husmann, B. (2010): Entspannung ist einfach – man muss sich bloß richtig anstrengen! Plädoyer für eine integrative „Deutsche Gesellschaft für Entspannungsverfahren (DG-E e.V.)“. In: Entspannungsverfahren Nr. 27, Lengerich: Pabst Sc. Publ., 10-46
  • Petermann, F.; Vaitl, D. (Hg. 2009): Entspannungsverfahren. Das Praxishandbuch. Weinheim, Basel: Beltz PUV

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